
Einladung zur Meditation
Am 1. Mai, der Tag, an dem traditionellerweise abhängig Beschäftigte für die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse auf die Straße gehen (oder den arbeitsfreien Tag in Wald und Flur genießen, nachdem ordentlich in den Mai getanzt wurde), fällt unser Abend einmal aus.
Was der historische Buddha heute über die wirtschaftliche Ausbeutung des einen Menschen durch einen anderen Menschen (oder das Kapital) sagen würde, wissen wir nicht. Man kann ihn ja nicht mehr fragen. Was Buddhisten dazu einfallen könnte, wenn sie die Schriften von Gründerfiguren der emanzipatorischen Bewegungen wie Marx, Bakunin, Luxemburg, Mühsam, Landauer oder anderer betrachten, soll an einem der nächsten Abende zum Thema werden. Wäre der „Rebell Buddha“ (Dzogchen Ponlop Rinpoche) heute ein Revolutionär? Seit der Eisenzeit vor 2500 Jahren haben sich Staat, Gesellschaft, Wissenschaft und Arbeitswelt ja einigermaßen verändert.
Wie verhält sich Gotamas Empfehlung für ein heilsames Leben, nicht zu nehmen, was nicht freiwillig gegeben wurde, mit dem Prinzip der Marktwirtschaft, in dem die hergestellten Güter nicht gemeinschaftlich konsumiert werden, sondern, wie Marx es nannte, der Mehrwert bei den Kapitaleigner:innen verbleibt? Und wie ist es um die Freiwilligkeit der Unterschrift unter einen Arbeitsvertrag bestellt, zu der es keine Alternative gibt, weil ohne einen solchen kein Leben möglich ist? Georg Büchner hat diese „Freiwilligkeit“ bereits im frühen 19. Jahrhundert in seinem Drama „Woyzeck“ als Chimäre gekennzeichnet (Die Szene „Beim Doktor“). Was also würde der Erwachte uns heute im 21. Jahrhundert empfehlen?
Der Ökonom und Zen-Lehrer Ronald E. Purser postuliert in seinem Buch „McMindfulness – Wie Achtsamkeit die neue Spiritualität des Kapitalismus wurde“, dass die Auflösung inneren Leidens nicht bedeutet, die äußeren Faktoren, die physisches und mentales Leid verursachen, nicht aus dem Weg zu räumen. Dabei geht er mit der „Achtsamkeitsindustrie“ (MBSR & Co) kritisch ins Gericht.
„Achtsamkeit mag zur Leidenslinderung beitragen, aber die Reduzierung von Stress auf biologische Faktoren hindert uns daran, soziale Leiden anzugehen. Die unvorhersehbaren Zyklen und Krisen des Kapitalismus erzeugen Stress.“ (S. 52) „Zudem schwingt im ideologischen Subtext der zeitgenössischen Achtsamkeitslehre mit, dass die Veränderung der Welt mit einem selbst beginne. Schließlich wird die Verantwortung für den Umgang mit dem eigenen Körper, den eigenen Emotionen und der eigenen Gesundheit auf das Individuum übertragen. Und diese Veränderung wird in erster Linie als persönliche Lifestylefrage betrachtet, statt sich direkt mit der Gesellschaft und Politik auseinanderzusetzen.“ (S. 63)
Außerdem…
Literaturtipp

Ronald E. Purser: McMindfulness: Wie Achtsamkeit die neue Spiritualität des Kapitalismus wurde. Mabuse Verlag, 2021
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Gedanken für die Woche
Doch der Rebell Buddha besteht nicht aus Geist und klarem Denken allein. Der Rebell Buddha hat ein riesengroßes Herz mit ganz eigenen Begierden und Leidenschaften: mit einem Verlangen nach persönlicher Freiheit und einem leidenschaftlichen Engagement für die Freiheit und das Glück der anderen. Dies Herz bedarf ebenfalls der Schulung. Wenn sich diese Leidenschaften und Einsichten miteinander verbinden, betrachten wir die Welt aus einer alles umfassenden Blickrichtung.
– Dzogchen Ponlop Rinpoche: Rebell Buddha. Aufbruch in die Freiheit. O. W. Barth, 2011, S. 176
Achten Sie darauf, was in Ihrem Geist vor sich geht, wenn Sie morgens nach dem Aufstehen feststellen, dass für Ihren Kaffee keine Milch mehr im Haus ist, dass es schon wieder regnet, dass der Tank Ihres Autos fast bis auf den letzten Tropfen leer ist und dass sich die Kinder den Kopfhörer aufgesetzt haben und partout nicht bereit sind, ein Wort mit Ihnen zu wechseln. Wo bleibt in diesem Moment Ihr Gleichmut? Wo ihr Mitgefühl? Falls Sie ab und an eine Gedächtnisstütze benötigen sollten, die Sie an Ihre Praxis erinnert: Im Alltag kann man sie leicht finden.
– ebenda, S. 202 f.

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